Hauspost 16/2021

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitglieder der Versöhnungsgemeinde:

vor 10 Tagen ist Hildegard Arbogast überraschend verstorben – sie war erst seit fünf Jahren Mitglied unserer Versöhnungsgemeinde, aber seit Jahrzehnten in „ihrer“ Trinidad-Gemeinde und in der Gesamtkirche äußert engagiert. Wir wollen sie würdigen und ihrer unter Punkt 2 gedenken – mit Ausschnitten aus Nachrufen, die uns erreicht haben.

Auch im ersten Punkt geht es um eine starke Frau und ihr bewegendes Zeugnis – lasst euch überraschen von der neuen Ausgabe der Hauspost, auch mit Bildern und einem kurzen Bericht von der Ausgabe von Lebensmittelpaketen in unserem Colegio.

  1. „Das ist hart, aber ich glaube: das schaffen eigentlich viele!“
  2. Aus unserer Versöhnungsgemeinde
  3. Am Schluss: ein Gebet, ein Vers und ein Spruch

 

1. „Das ist hart, aber ich glaube: das schaffen eigentlich viele!“ 

Die Geschichte von Deborah Feldmann ist krass und beeindruckend. Sie bricht aus einer völlig geschlossenen Welt aus: der jüdischen Sekte der Satmarer in New York. Diese extreme Gruppe lehnt nicht nur die Moderne und damit die Öffnung zur Welt außerhalb ihrer Gemeinde, sondern beispielsweise auch den Staat Israel strikt und konsequent ab.

Deborah Feldman wächst in dieser Welt auf und kann auch heute noch ihren spirituellen Reichtum würdigen. Aber sie erfährt vor allem die engen Grenzen dieser Gemeinschaft und den Druck, der besonders auf Frauen ausgeübt wird.

Über das (heimliche) Lesen englischsprachiger Literatur (die Satmarer sprechen nur Jiddisch), eröffnet sie sich den Zugang zur Welt außerhalb der Sekte. Trotz vieler innerer und äußerer Widerstände beschließt sie schließlich, ihren Ehemann und die gesamte Gruppe zu verlassen und flieht mit ihrem Sohn.

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Interview mit Deborah Feldman im Zeit-Podcast “Alles gesagt.”

Interviewer: “Ich habe mal gelesen, dass du jeden Tag gehört hast, wie mutig du seist, nachdem du es geschafft hattest, dich zu lösen..”

Deborah Feldmann: “Ich hasse dieses Wort „mutig“, ich hasse es…”

Interviewer: “Warum?”

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Deborah Feldmann: “Weil das ist das Wort, das die Leute nutzen, wenn sie das Wort Verzweiflung nicht benutzen wollen. „Verzweiflung“ ist viel weniger attraktiv, aber klar ist, dass die meisten mutigen Taten in unserer Welt nicht passieren, weil die Leute so couragiert oder toll sind, sondern weil sie verzweifelt sind, weil sie keinen Ausweg sehen..

Ich bin nicht stark, ich bin nicht besonders, ich bin nicht mutig – ich bin genau so wie alle anderen. Ich bin schwach und fehlbar und ich habe auch überlegt aufzugeben – mehrmals! Man muss nicht besonders sein, um es doch geschafft zu haben – man muss wahrscheinlich nur immer mal wieder „Nein“ sagen. … Das ist hart, aber ich glaube: das schaffen eigentlich viele!”

 

Ich bin tief beeindruckt von dem Weg, den Deborah Feldman gegangen ist, von ihrer Kraft und von der zitierten Interview-Passage. Sie wehrt sich nicht nur dagegen, als Heldin stilisiert zu werden, sondern reflektiert allgemein, dass bei ihr wie in vielen anderen Fällen nicht Mut, sondern bittere Verzweiflung die Antriebsquelle für hart zu erkämpfende Veränderungen ist.

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Und das wirft dann auch ein Licht auf die Umstände, die solche abgründige Verzweiflung begünstigen: im Kleinen die Realität dieser Sekte oder anderer geschlossener Gruppen oder Systeme, die ihre Mitglieder kleinhalten und unterdrücken. Und im Großen: Gesellschaften, die solchen Gruppen aus welchen Gründen auch immer, nicht hart genug reglementieren und damit deren Missachtung der Grundrechte Einzelner ermöglichen. Das gab und gibt es auch in der jüngsten Vergangenheit immer wieder – nicht nur in den USA!

Außerdem betont Feldman die Kraft, die ein kleines Wort hat, das manchmal schwer auszusprechen ist, aber große Wirkung erzielen kann „Ich bin schwach und fehlbar und ich habe auch überlegt, aufzugeben – mehrmals! Man muss nicht besonders sein, um es doch geschafft zu haben – man muss wahrscheinlich nur immer mal wieder „Nein“ sagen. … Das ist hart, aber ich glaube: das schaffen eigentlich viele!“

Ich wünsche mir und ich wünsche uns: dass wir immer wieder Kraft für solch ein „Nein“ haben – ein Nein, das vielleicht Überwindung kostet, aber das man schon schaffen kann. Ein „Nein“, das Schluss macht mit einer unguten Situation und Räume öffnet für Neues. Ein „Nein“, das hoffentlich schon vor der Verzweiflung kommt und auch in kleinen Zusammenhängen wichtig ist.

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In freier Adaption der Autobiographie von Deborah Feldman ein großer Erfolg auf Netflix: Unorthodox.

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Zum Weiter- Lesen, Sehen, Hören:

Buch: Unorthodox: The Scandalous Rejection of My Hasidic Roots. Simón & Schuster, 2012
Deutsch: Unorthodox, Secession Verlag, Zürich 2016.

Netflix-Serie „Unorthodox“: website Netflix für die Serie “unorthodox”.

Langes und bewegendes Gespräch mit Deborah Feldman im Zeit-Podcast „Alles gesagt“: HIER klicken

 

2. Aus unserer Versöhnungsgemeinde
a) Abschied von Hildegard

Am vergangenen Montag, den 7. Juni, ist unser liebes Gemeindemitglied Hildegard Arbogast ganz plötzlich und unverhofft gestorben. So wie sie es sich immer gewünscht hatte: von einer Minute auf die andere. Das ist schön für Sie, aber für uns alle, die wir zurückbleiben und um sie trauern, umso schwieriger zu fassen.

Hildegard war eine wichtige Person für unsere IELCH – immer in vollem Einsatz, immer alles gegeben für ihre Kirche.

Für viele Menschen war sie sehr wichtig. Wir haben hier für euch, ein paar Ausschnitte zusammengestellt aus den verschiedenen Kondolenzbriefen, die uns erreicht haben und dem Dankgottesdienst, den die Kirche am Mittwochabend letzte Woche für sie gehalten hat: HIER klicken.

Als Versöhnungsgemeinde danken wir ihrem unermüdlichen Einsatz im Übersetzen von Hauspost und Gemeindebriefen, den Anrufen, Besuchen und dem Kümmern um andere Gemeindemitglieder, der beständigen Begleitung im Gebet! Es wird fehlen, wenn sie nicht mehr jeden Sonntag mit einem Grinsen im Gesicht in die Kirche kommt. Genauso die Diskussionen und guten Gespräche, die Anregungen und das Gemeinde-Mitdenken.

Wir werden dich sehr vermissen, liebe Hildegard! Schön, dass wir dich kennenlernen durften. Ruhe in Frieden bei dem, der dich über alles liebt.

 

2b) Hilfe für die Familien im Colegio

Im letzten Jahr haben wir viel Unterstützung aus der Gemeinde, aber auch aus Deutschland und der Schweiz bekommen, um die Familien unseres Colegio Belén O´Higgins unterstützen zu können. Jetzt konnten wir eine dritte (und vorerst letzte) Aktion mit Kisten für alle Familien durchführen: darin Lebensmittel, aber auch Masken speziell für Kinder und Alkoholgel.

 

Pastor Lukas war anlässlich der Verteilung das erste Mal in unserem sozial-diakonischen Projekt – hier ein kurzer Eindruck:

„Als wir um kurz vor 12 Uhr ankamen, stand die Schlange bereits vor der Tür. Die Menschen warteten im Schatten darauf, dass sich die Türen des Colegio öffnen würden: letzte Woche wurden in Belén wieder Kisten mit Lebensmitteln ausgegeben. Es war mein erster Besuch dort und ich freute mich, endlich einmal die Schule, die Lehrerinnen und Lehrer und die Eltern kennenzulernen.

Auf vielen Paletten verteilt standen die Kisten, die wir verteilen wollten, Lehrkräfte und Küchenpersonal hatten die Verteilung bereits gut vorbereitet. Der Ablauf war schon gut eingeübt. So machen sich Marin, Edzard, Andreas, Nicole und ich vom Kirchenvorstand mit frischer Maske, Handschuhen und Plastikkittel ans Werk: Kisten tragen, Namen prüfen und Listen führen ließen es immer zu, nebenbei noch ein Wort zu wechseln und ins Gespräch zu kommen. So kam das Ende der Aktion um 14:00 unglaublich schnell – der Strom der Menschen war am Ende nur wenig abgeebbt. Zum Glück, gab es noch einen zweiten Tag, an dem verteilt wurde!

Für mich war es ein eindrücklicher Tag, der mir Lust darauf gemacht hat, so bald wie möglich wieder nach La Florida zu fahren.

 

Außerdem erinnern wir an unseren Aufruf von letzter Woche: Für die Familien einer Behelfs-Siedlung in der Nähe des Colegios suchen wir Decken, sowie warme Kleidung für Kinder, Männer oder Frauen. Wer so etwas (übrig) hat, bringe es bitte bis zum Mittwoch, den 23. Juni ins Pfarrhaus! Ganz herzlichen Dank euch für eure Hilfe!!

 

3. Am Schluss: ein Gebet, ein Vers und ein Spruch

Gebet:

Gott, wir danken dir für dein großes JA zu uns,
für Leib und Leben,
für Möglichkeiten und Freiheiten,
für Perspektiven und Hoffnung
trotz aller Neins, die wir immer wieder hören müssen oder erleben. 

Gott, wir bitten dich um Kraft, Nein sagen zu können,
damit Entwicklungen gestoppt werden, die nicht gut sind,
damit Grenzen gesetzt und Schlechtes beendet wird,
damit Widerspruch deutlich wird, wo es gegen das Leben geht.
Hilf uns konstruktiv, aber deutlich zu sein.
Amen.

 

Der Vers:

Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: „Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!“
(Johannes 2,15+16)

 

Der Spruch:

Die Fähigkeit, das Wort „Nein“ auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit.
(Nicolas Chamfort)

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