Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitglieder der Versöhnungsgemeinde,
heute setzen wir unsere Oktober-Serie zu Themen der Reformation fort – mit einem längeren Beitrag zu der Welt, in der sich die damaligen Ereignisse entwickelten. Es lohnt sich und ist spannend, ein kleines Stück weit in die Jahre um 1500 einzutauchen!
Und natürlich gibt es die neuesten Informationen aus unserer Versöhnungsgemeinde bevor wir wie immer mit Gebet, Zitat und Vers schließen.
- Serie “Reformation und lutherische Kirche“: Im Aufbruch – Die Welt um 1500
- Informationen aus der Versöhnungsgemeinde
- Am Schluss: ein Gebet, ein Vers und ein Spruch
1. Serie “Reformation und lutherische Kirche“: Im Aufbruch – Die Welt um 1500
Die Zeit, in die Martin Luther 1483 hineingeboren wurde, war eine bewegte Zeit. Seiner Familie im Mansfelder Land (ca. 200 km südwestlich von Berlin) und vielen Menschen an vielen Orten der damaligen Welt mag das nicht so vorgekommen sein. Aber für Manche war Großes im Gang und in der Rückschau muss man in jedem Fall sagen, dass es eine Zeit großer Veränderungen und Aufbrüche war.
Viele Entdeckungen und „zurück zur Antike“
Kolumbus brach zum Beispiel zu seiner großen Weltumsegelung auf und „entdeckte“ am 12. Oktober 1492 Amerika (deswegen der Feiertag am Montag). Schon kurz vorher war Afrika umsegelt worden und so ein neuer und schneller Weg nach Asien gefunden. Beide Entdeckungen führten nicht nur zu einem großen Wissenszuwachs, sondern brachten auch den internationalen Handel in Schwung und große Reichtümer nach Europa.
In anderen Bereichen gab es in dieser Epoche ebenfalls gewaltige Fortschritte – um nur drei Beispiele zu nennen: Nikolaus Kopernikus entwarf ein sonnenzentriertes Bild unseres Universums (bis dato kreiste alles um die Erde), Leonardo da Vinci und andere beförderten mit ihren anatomischen Studien ein neues Bild des Menschen, Johannes Gutenburg erfand den Buchdruck mit beweglichen Lettern und so wurde die Verbreitung von Schriftstücken und damit auch von Wissen immens befördert.
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Die Welt um 1500 – eine zeitgenössische Karte. Die “Flugmaschine” von Leonardo da Vinci ist nicht geflogen, aber eines der vielen Visionen und Neuerfindungen aus der Zeit.
Die sich in dieser Zeit entwickelnde Bildungsbewegung des Humanismus kann wohl gleichzeitig als eine der Ursachen wie auch als eine der Folgen der Veränderungen begriffen werden. Methodisch wollte man sich an der klassischen Antike und ihren Idealen orientieren, deswegen wurden die alten Sprachen studiert und man versuchte, mittels der alten Quellen den „mittelalterlichen Ballast“ abzuwerfen. Inhaltlich fand eine Trennung vom vorherrschenden negativen Menschenbild statt – nicht Gott, die Sünde und das Jenseits sollten im Mittelpunkt stehen, sondern der Mensch als „Ebenbild Gottes“, als schöpferisches und zu viel Gutem fähiges Individuum.
Während die wirtschaftlichen Entwicklungen und die großen Entdeckungsreisen Luther und seine Mitstreiter kaum direkt berührt haben, sieht man im Humanismus natürlich deutlich Anklänge zur Reformation. Martins Eltern investierten in seine Bildung – vielleicht nicht aus einem humanistischen Ideal heraus, sondern eher, um eine gewisse Karriere zu ermöglichen – und in jener Zeit entstanden viele Schulen und Universitäten, die auch jenseits von Klöstern und Fürstenhöfen Zugang zum Wissen der Zeit ermöglichten. Die Reformation wurde später zu einer regelrechten Bildungsbewegung, weil sie Schulgründungen forcierte und auch armen Kindern Bildung ermöglichen wollte. Luther war in diesem Sinne ganz Humanist und wollte, dass alle Bibel und religiöse Texte selbst lesen und verstehen können!
Seine eigenen „reformatorischen Entdeckungen“ sind darüber hinaus kaum ohne das Hebräisch-, Griechisch- und Lateinstudium und die Übersetzungsarbeit an den Originaltexten vorstellbar. In den normalen Bibelausgaben waren viele katholische Lehrmeinungen schon „eingeschrieben“, d.h. die Texte tendenziös übersetzt oder die lateinischen Begriffe durch die spätere Auslegung nur noch sehr einseitig zu verstehen.
Doch während Luthers Kollege und Freund Philip Melanchthon als „Humanist“ anerkannt war und die Impulse dieser Bewegung in die Reformation einbrachte, blieb Luther der Menschen-Zentriertheit dieser Strömung gegenüber immer skeptisch. Viele waren enttäuscht, als er sich in einem Briefwechsel mit dem berühmten Erasmus von Rotterdam verwarf – für Luther blieben Gott und der Glaube die alles entscheidenden Faktoren. Und bis heute sagen manche er sei zeitlebens ein „Mann des Mittelalters“ geblieben, während andere in ihm wegen seiner Betonung des Glaubens des Einzelnen und des individuellen Gewissens, gerade als „den ersten Vertreter der Moderne“ sehen wollen.
Reformstau in Reich und Religion
Zwei Bereiche, die ohne Zweifel einen großen Einfluss auf die Reformation hatten und die Zeit prägten seien noch genannt: Politik und Religion.
Beide waren um 1500 in keiner guten Verfassung. 1453 war Konstantinopel gefallen und die Macht der Türken dehnte sich immer weiter nach Europa aus. Gleichzeitig entstanden an vielen Orten starke nationale Bewegungen, so dass die schon länger ausgezehrte „Einheit unter Kaiser und Papst“ weiter erodierte.
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Das Deutsche Reich war zudem in kleine Fürstentümer unterteilt, bei denen die „geistlichen Fürsten“ eine besondere Stellung und die „Kurfürsten“ besondere Macht hatten. Erste waren gleichzeitig Bischöfe und weltliche Herrscher einer Region – das bedeutete weltliche und geistliche Macht, weswegen diese Ämter besonders begehrt und im Mittelalter an den Meistbietenden verkauft wurden (natürlich inoffiziell, denn Bischof wurde man offiziell wegen besonderer Fähigkeiten und Kenntnisse). Die Kurfürsten wiederum hatten das Recht, den Kaiser zu wählen und daraus resultierte ihr besonderer Einfluss auf die Reichspolitik. Martins Glück war, dass sein Förderer Friedrich der Weise einer dieser sieben Kurfürsten war.
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Kaiser Karl der V. war für lange Zeit nicht in der Lage (und / oder nicht Willens), sich dieser „deutschen Probleme“ um „dieses Mönchlein“ anzunehmen. Er beherrschte ein Reich „in dem die Sonne nie untergeht“, denn er regierte auch Spanien und Teile der Niederlanden und somit große Teile der gerade entdeckten „Neuen Welt“. Und in all diesen großen Besitztümern gab es eine Vielzahl von Aufgaben und Konflikten, zum Beispiel die immer wieder aufflammenden Konflikte mit dem machtbewussten französischen König Franz I.
In Deutschland war Karl V. deswegen oft nicht präsent und viele sagen, dass sich die Reformation nur wegen dieses Umstandes so weit entfalten konnte. Denn der Kaiser war überzeugter Katholik und davon überzeugt, dass man den lutherischen „Ketzern“ das Handwerk legen müsse. Als er nach Luthers Tod in den Schmalkaldischen Krieg eingriff, gingen die deutschen Lutheraner unter (1547). Und wenn es nicht später günstige politische Wendungen gegeben hätte, wäre damit auch das Ende der Reformation besiegelt gewesen.
Auch um die (katholische) Kirche stand es vor gut 500 Jahren nicht zum Besten. Theologisch hatte man sich in der mittelalterlichen Scholastik verrannt, die weit weg vom Glaubensleben theoretische Probleme verhandelte ohne dabei fähig zu sein, auf neue Fragen überzeugende Antworten geben zu können. Viele Bischöfe und auch Päpste sahen sich mehr als weltliche Herrscher, denn als geistliche Führer und pflegten entsprechend der Zeit einen verschwenderischen und auf Außendarstellung bedachten Lebensstil. Unter anderem um diesen zu finanzieren, war das mittelalterliche Beichtsystem zu einem lukrativen Abgaben-System weiterentwickelt worden. Mittels verschiedener Maßnahmen (am Berühmtesten die „Ablassbriefe“) sollten die Gläubigen nicht nur ihre Sünden bekennen, sondern im Wortsinn auch bezahlen. Dafür wurde Freiheit vom Fegefeuer und von anderen Qualen nach dem Tod versprochen – auch für die Vorfahren, was die Einnahmequellen ins Unermessliche steigerte.
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Karl V. an Luthers Grab (nach seinem Sieg): Manche erwarteten, er würde es schänden, aber der Kaiser zollte dem Reformator Respekt.
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Reformbestrebungen gelangen meist nur im Kleinen, zum Beispiel innerhalb der Klosterkonvente oder in Städten mit der Entstehung von Bruderschaften, an denen Laien und Kleriker gleichermaßen beteiligt waren. Grundsätzliche Änderungen innerhalb der Kirche hätte nur ein Konzil beschließen können, dessen Einberufung wurde jedoch immer wieder zwischen religiösen und (macht-)politischen Interessen zerrieben. Als es endlich zustande kam (ab 1545 in Trient), wurden die protestantischen Lehren relativ schnell als ketzerisch verdammt, was jegliche Möglichkeit einer Integration der neuen Bewegung ein für alle Mal verhinderte. Martin Luther hat sich explizit und mehrfach dagegen verwehrt, eine neue Glaubensströmung ins Leben zu rufen – darin ist er gescheitert.
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Einer, der inhaltlich Ähnliches wie er kritisierte und forderte, starb wie so viele Kirchenrefomer 1415 auf dem Scheiterhaufen. Jan Hus fehlte die Unterstützung eines mächtigen Fürsten und auch die politische, religiöse und geistige „Großwetterlage“ war anders als 100 Jahre später bei Luther und seinen Mitstreitern. So ist es auch kein Zufall, dass neben der lutherischen Reformation, in Süddeutschland, der Schweiz und den Niederlanden ähnliche Bewegungen entstanden, die alle im 16. Jahrhundert erfolgreich Glauben und Politik ihrer Umgebung nachhaltig veränderten.
„Die Welt um 1500“ ist also nicht nur ein interessantes Thema für alle, die sich für die Reformation interessieren, sondern man kann viele Entwicklungen nur vor dem Hintergrund der damaligen Welt verstehen. Wie jeder Mensch war Martin Luther ein „Kind seiner Zeit“ und damit dem damaligen Denken verhaftet – selbst, wenn er daraus an manchen Stellen ausbrach.
2. Informationen aus der Versöhnungsgemeinde
Fortführung der Hauspost
In vielen Kommunen und somit auch in vielen Haushalten ist die Zahl der Aktivitäten in den letzten Wochen gestiegen. Mit den Lockerungen der Pandemie-Bestimmungen wird wieder mehr möglich und nötig. Auch lockt der Frühling nach draußen und gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die in den letzten Monaten liegengeblieben sind.
Vielleicht liegt es daran, vielleicht hat es auch ganz andere Gründe – jedenfalls sind die „Klick“-Zahlen der Hauspost seit den Septemberferien zurückgegangen und so überlegen wir, ob es nicht an der Zeit ist, diesen ausführlichen wöchentlichen Newsletter auslaufen zu lassen und wieder auf den Gemeindebrief rück-umzustellen.
Was meint ihr? Ist das eine gute Idee? Oder soll eine wöchentliche „Hauspost“ den monatlichen Gemeindebrief dauerhaft ersetzen – dann vielleicht in einem kürzeren Format? Schreibt uns gern eure Gedanken und Ideen!
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Abschied
„Willkommen und Abschied“ – das ist in unser Versöhnungsgemeinde oft Thema und so mussten wir am vergangenen Sonntag Familie Bender verabschieden. Fünf Jahre haben sie in Chile gelebt – währenddessen wurde zum Beispiel die jüngste Tochter in unserer Kirche getauft und die älteste konfirmiert. Und auch El Tabito und “Werwolf”-Nächte wurden zu wichtigen Bestandteilen dieser Zeit.
Wir werden euch vermissen und wünschen euch Gottes Segen für den weiteren Weg und euren Neustart in Brasilia!
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Abend zum Plebiszit
In gut zwei Wochen wird die Volksabstimmung über eine mögliche Verfassungsänderung stattfinden. Wir wollen weder für das „apruebo“ noch für das „rechazo“ Werbung machen, aber darüber informieren, wie der Prozess laufen soll, was abgestimmt wird und was eine Verfassung eigentlich ist. Dazu wird Cristián García mit uns ins Gespräch kommen. Der Chilene hat in Deutschland über chilenisches Wahlrecht promoviert und später am Verfassungsgericht in Santiago gearbeitet. Dienstag, 20. Oktober um 20 Uhr per Zoom.
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Gottesdienst-Planung
Schon mehrfach haben wir hier von Planungen zur möglichen Wiederaufnahme von Präsenzveranstaltungen geschrieben. Prinzipiell sieht das Direktorium die Bedingungen dafür gegeben – sollten sich die Zahlen nicht wieder deutlich verschlechtern. Allerdings stehen in den nächsten Wochen jeden Sonntag große Gottesdienste auf dem Plan, die wir traditionell mit anderen zusammen feiern und deswegen den nötigen Abstandsbedingungen nicht nachkommen können (Konfi-Einführung, Reformationstag, 9.-November-Gedenken, Volkstrauertag). So haben wir jetzt aber schon die notwendigen Bedingungen beschlossen und werden noch entsprechende Einkäufe tätigen, um dann in absehbarer Zeit wirklich zu einem nicht-virtuellen Wiedersehen einladen zu können.
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3. Am Schluss: ein Gebet, ein Vers und ein Spruch
Das Gebet:
Gott, du hörst unsere Gebete – wir danken für jeden Tag und dass du unseren Glauben stärkst.
Danke für jede friedliche Transformation.
Wir bitten dich um Gesundheit für unsere Familien, unsere Gemeinschaften, unser Land und die Welt.
Wir bitten dich um deinen Segen für alle und dass die Proteste friedlich bleiben.
Wir danken dir für die Möglichkeit, uns virtuell zu treffen.
Wir bitten dich um Brot und Gerechtigkeit.
Danke für den großen Einsatz in den Krankenhäusern.
Wir bitten dich, dass Frieden und Gerechtigkeit sich küssen mögen.
Danke, denn Licht ist es, das uns erhält.
Wir danken für den Glauben, der uns motiviert und einlädt, gutes Leben für alle zu fördern.
Dein Wille geschehe!
Gott, übe Barmherzigkeit mit allen, die in Chile verfolgt werden.
Wir beten für unsere Kirche, für alle Gemeinden: fülle uns mit der Kraft deines Friedens, zerstreue unsere Ängste und belebe unsere Hoffnung!
Danke, denn mit Liebe geht alles. Wir bitten dich um Frieden für Deutschland und Chile.
Amen.
(gemeinsames Gebet im letzten Zoom-Gottesdienst)
Der Vers:
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.
(Apostelgeschichte 5, 29)
Der Spruch:
„Die Reformation ist nicht primer aus einer spätmittelalterlichen Reformdynamik heraus zu erklären, aber zweifellos lebten in, mit und unter ihr viele Traditionen des Spätmittelalters fort.“
Thomas Kaufmann (Professor für Kirchengeschichte)