Post nach Hause am 17. Juni 2020

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitglieder der Versöhnungsgemeinde,

Mit der neuen Hauspost schicken wir euch einen bunten Blumenstrauß an Texten zum Nachdenken, Sich-Freuen, Lernen, Staunen, Schweigen, Beten, …

Ein besonderer Dank gilt einmal mehr unseren treuen Übersetzerinnen, aber auch allen, die in den letzten Tagen für die Lebensmittelkisten für die Familien in unserem Colegio Belén gespendet haben, sowie den früheren Pastoren und PräsidentInnen der Versöhnungsgemeinde, die mit ihren schriftlichen Erinnerungen dazu beitragen, dass wir uns „unsere“ Geschichte konkret vorstellen können.

Viel Spaß beim Lesen!

  1. Glaube: „So Gott will und wir leben“
  2. 40 Jahre Versöhnungsgemeinde: die zweiten 11 Jahre (1986-1997)
  3. Aus der Versöhnungsgemeinde: Besonderer Gottesdienst und “lutherisch”
  4. Am Schluss: ein Gebet, ein Vers und ein Spruch

 

1. Glaube: „So Gott will und wir leben“

Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten. Ständig wurden in den letzten Monaten neue Superlative gesucht, um das Ausmaß des Geschehens zu beschreiben: Pandemie, größte Wirtschaftskatastrophe seit…, die meisten Toten in Friedenszeiten, ungeahnten Ausmaßes, nicht absehbare Folgen,…

Und im Alltag sieht es nicht anders aus. Selbst im krisenerprobten Chile sind wir plötzlich vor große Herausforderungen und viele Unsicherheiten gestellt, die es so für die meisten von uns noch nie gab: sei es in der Organisation des Augenblicks oder auch in der mittleren oder gar längerfristigen Planung.

Für viele von uns waren die Welt und das Leben bis vor kurzem doch noch recht gut kalkulierbar. Man hat geplant und wusste, was ungefähr kommen wird – den nächsten Urlaub, aber auch die Karriere oder einen Auslandsaufenthalt. Das sieht schon anders aus, wenn man in einem anderen Milieu oder an einem anderen Ort der Erde geboren wird. Den Kindern in unserem Colegio Belén O´Higgins sind manche Berufe zum Beispiel unwahrscheinlich fern, sie werden nur mit viel Glück und besonderer Anstrengung ihr soziales Umfeld je verlassen können. Krankheiten oder andere Unglücke sind für ihre Familien oft Katastrophen. Noch schwieriger ist es für die, die in einem Township in Südafrika oder auf einer Müllhalde in Mexico City geboren werden.

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So war auch in früheren Jahrhunderten das Leben viel unsicherer. Es gab weniger Wissen, weniger Technik und (für die allermeisten) weniger finanzielle Ressourcen. Eine Krankheit, ein Unfall, eine schlechte Ernte – die Lebenserwartung war gering und schnell konnte alles anders sein, als gehofft.

In diesen Zeiten schrieb man unter Briefe ein Zitat aus dem Jakobusbrief: „So Gott will und wir leben.“ Verabredungen und Pläne, schon das Aufwachen am nächsten Morgen standen sehr bewusst unter diesem Vorbehalt.

Heute erfahren wir das meist nur in Ausnahmesituationen wie bei einer Geburt oder während einer schweren Krankheit: das Leben ist in gewissem Maße unverfügbar. Wir können viel gestalten und bestimmen. Wir können viel planen und vorbereiten, heilen und retten. Aber: „ihr sagt: »Heute oder morgen wollen wir in diese oder jene Stadt reisen. Wir wollen ein Jahr dort bleiben, Geschäfte machen und Gewinne erzielen.« Doch ihr wisst doch gar nicht, was der morgige Tag bringen wird! Was ist denn euer Leben? Ein Dampfwölkchen, das für kurze Zeit sichtbar ist und gleich wieder vergeht. Sagt stattdessen lieber: »Wenn der Herr es will, werden wir am Leben bleiben und dies und jenes tun.«“ (Jakobus 4:13-15)

Ich meine, das Zitat aus Jakobus soll niemandem Angst machen (á la „wer weiß, was noch alles Schreckliches passieren wird“), sondern kann vielmehr helfen, Gelassenheit einzuüben. Und Zuversicht. Wir können und müssen nicht alles planen, machen, garantieren. Das Leben ist – nicht nur in solchen Ausnahmezeiten wie jetzt – unverfügbar.

Ja, das mag eine Erkenntnis sein, die Angst macht und Unsicherheit hervorruft. Aber es gehört zum Leben dazu, sich dem zu stellen und dies anzunehmen!

Und: wir haben einen Felsen auf den wir bauen können, auch wenn Vieles um uns herum wankt (Mt 7,24). Wir haben einen Hoffnungsgrund, der uns sogar seinen Geist gibt, um uns zu stärken (Joh 14,26). Und auch in der größten aller möglichen Krisen, selbst im Tod, können wir „nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“ (Evangelisches Gesangbuch, Nummer 533).

 

2. 45 Jahre Versöhnungsgemeinde: die zweiten 11 Jahre (1986-1997)

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GemeindepräsidentInnen in dieser Zeit: Vilma Zimmerling Möller (1986­-1989­), Dr. Hermann Schmidt­-Hebbel (1990­-1991), Helmut Hardings (1992­-1999); Pastoren in dieser Zeit: Carlos Steenbuck (1981-1987), René Lammer (1987-1993), Martin Junge (1994-2000)

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Die sozial-diakonischen Projekte der Versöhnungsgemeinde entwickeln sich weiter: es wird gebaut und natürlich auch an den Inhalten gearbeitet. Die Verwaltung kostet viel Zeit und Mühe – und natürlich auch viel Geld, welches zum Glück in Deutschland eingeworben werden kann. Die Kinder haben Freude – das sieht man auf Fotos aus allen Jahrzehnten…

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Die Versöhnungsgemeinde war 1975 in schwierigen Zeiten gegründet worden. Und auch in den ersten 11 Jahren gab es viele Herausforderungen zu bestehen. So kann man es als Wunder bezeichnen, dass hier überhaupt von einem nächsten Jahrzehnt die Rede ist. Mit den Worten von Martin Junge (von 1994-2000 unser Pastor): „Doch die Situation der Versöhnungsgemeinde war schwierig. Äußerst schwierig sogar. Sie stand mit dem Rücken zur Wand. Die sogenannte “Kerngemeinde”, die über Jahre hinweg mit beispiellosem Einsatz das Gemeindeleben aufrechterhalten hatte, war kaum gewachsen in der Vergangenheit. Die ganze Arbeit der Gemeinde mit ihren Tagesstätten ruhte auf nur wenigen Schultern.“

Aber (nochmals Junge): „Wenn ich rückblickend an die Versöhnungsgemeinde denke, drängt sich mir das Bild eines Gestirns auf, das durch sein bloßes Dasein eine Anziehungskraft entwickelt, der man sich nur schwer widersetzen kann. Je näher man der Versöhnungsgemeinde und ihren Menschen kommt, umso stärker ziehen sie einen an. Die Einblicke in Menschenschicksale und Lebensgeschichten, die bewegende Geschichte der Gemeinde an sich, die engen, vertrauensvollen und freundlichen Beziehungen – sie lassen einen nicht mehr los.“ So hört man es auch heute noch oft: hier waren (und sind) viele tolle Leute engagiert und ihr Tun stand (und steht) unter Gottes Segen.

Zwar kam es weder zu einer Versöhnung beider lutherischer Kirchen, noch konnten auch nur annähernd alle Probleme der Familien aus der ehemaligen Armensiedlung San Luis gelöst werden. Aber die Versöhnungsgemeinde hatte es geschafft, gleich drei neue Kindergärten aufzubauen und war weiterhin ein Ort, an dem sich Menschen ganz verschiedener Herkunft und Überzeugung unter Gottes Wort fröhlich versammelten.

Mit finanzieller Hilfe aus Deutschland wurde die sozial-diakonische Arbeit beständig ausgebaut, auch wenn das die kleine Gemeinde stark forderte. Das Engagement war groß und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen: Menschen wurde konkret geholfen – weit über die „Kinderbetreung“ hinaus. Und in Belén La Bandera war sogar eine Tochtergemeinde rund um den Kindergarten entstanden.

Der Kindergarten in El Cobre wurde dagegen schließlich an die befreundete Schwester Karoline Mayer, beziehungsweise ihr Hilfswerk, abgegeben. Die Verwaltung, sowohl was die Finanzen angeht, aber auch Personalführung, Einhaltung staatlicher Bestimmungen etc. konnte nicht mehr für drei Einrichtungen gleichzeitig gestemmt werden. In der Villa O´Higgins, wo heute unser Colegio steht, intensivierte sich die pastorale Arbeit ab 1991 und es begannen erste Überlegungen, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Schule zu gründen. Das geschah fünf Jahre später: 1996 begann eine erste Klasse und dann wuchs das Colegio jedes Jahr um einen Jahrgang.

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Links: Pastor René Lammer mit den KonfirmandInnen vor der Christuskirche in Ñuñoa. Rechts: Alle Aktivitäten verlangen auch Vor- und Nachbereitung. Und das sozial-diakonische Engagement eine umfangreiche Administration.

Das Anliegen, zwischen den beiden lutherischen Kirchen zu versöhnen, stellte nach wie vor eine große Herausforderung dar. Oft saß die Versöhnungsgemeinde „zwischen den Stühlen“ – in der eigenen Kirchengemeinschaft (IELCH) aneckend oder argwöhnisch betrachtet, von der ILCH z.T. offensiv behindert (z.B. Ausschluss unseres Pastors René Lammer vom Religionsunterricht in der Deutschen Schule, um die Gemeinde von der Jugend „abzuschneiden“). Trotzdem ließen sich die Gemeindemitglieder weder von diesem Ziel, noch von der Vision einer Gemeinde, in der man verschieden denken kann, abbringen. „Vielleicht die wichtigste Lernerfahrung, die ich machte: eine tiefen Respekt und eine echte Verbundenheit für Menschen zu entwickeln, die eine mir konträre politische Meinung vertraten. Auch Ende der achtziger Jahre war das Land ja noch tief gespalten und polarisiert und dieser Riss ging quer durch die Versöhnungsgemeinde hindurch. In dieser Situation habe ich den gemeinsamen Glauben als etwas tief Verbindendes erlebt, es gab und es gibt eben ein Fundament, das auch die Gegensätze erträgt und zwar soweit, dass sie auch immer wieder ausgetragen, aber dann doch ausgehalten werden.“ (René Lammer)

Manches neue Projekt ließ sich nicht verwirklichen, z.B. die Idee, die Kindergärten mit selbst angebautem, qualitativ hochwertigem Gemüse zu versorgen. Und Anderes trägt noch heute seine Früchte: es wurde begonnen, Kindergottesdienste zu feiern und sich bewusst für junge Familien zu öffnen. Das war, so beschrieben es die damals Verantwortlichen, ein zäher Weg. Aber er hat sich gelohnt: auch im Juni 2020, also 30 Jahre später, steht unsere Versöhnungsgemeinde für ihre besondere Familienfreundlichkeit und über den Kreis der Gründerfamilien ist sie längst weit hinaus gewachsen.

Von einer großen Veränderung, die unsere Gemeinde ebenfalls bis heute stark prägt, wird dann nächste Woche zu lesen sein…

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Martin Junge

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Helmut Hardings

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Gemeinde lebt auch von den Menschen, die Verantwortung in ihr und für sie übernehmen – z.B. unser ehemaliger Pastor Martin Junge, heute Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (links) und unser ehemaliger Gemeindepräsident Helmut Hardings (rechts).

Zur weiteren Lektüre können wir sehr die Erinnerungen von Gemeindepräsident Helmut Hardings (1992­-1999) und den Pastoren Carlos Steenbuck (1981-1987), René Lammer (1987-1993) und Martin Junge (1994-2000) empfehlen, die z.T. schon für frühere Anlässe aufgeschrieben worden sind (jeweils auf den Namen klicken).

 

 

3. Aus der Versöhnungsgemeinde: Besonderer Gottesdienst und “lutherisch”

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Am Sonntag wird es wieder einen ganz besonderen Gottesdienst geben – allerdings (ihr werdet gleich verstehen, warum) nur auf Deutsch: der 21. Juni ist der Tag der Sonnenwende, also in Chile der kürzeste Tag im Jahr, während auf der Nordhalbkugel die Sonne in jenen 24h am längsten scheint. Wir nehmen es zum Anlass, gemeinsam mit der Evangelischen Gemeinde Ober-Erlenbach (nördlich von Frankfurt am Main) einen Zoom-Gottesdienst zu „Licht und Finsternis“ zu feiern. Um 15 Uhr hiesiger (21 Uhr dt. Zeit) – ins Dunkelwerden hinein.
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Dabei soll der Austausch (Welche Erfahrungen von „Licht und „Finsternis“ machen wir gerade?) eine besondere Rolle spielen! Auf Spanisch wird es Anregungen zum selben Thema wie immer als „Gottesdienst für Zuhause“ geben.

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Als lutherische Gemeinde in einem stark katholischen Umfeld, kann diese Woche nicht unerwähnt bleiben, dass vor 500 Jahren (am 15. Juni 1520) der damalige Papst Leo X. Martin Luther den Ausschluss aus der (katholischen) Kirche androhte, wenn er seine 95 Thesen nicht widerrufe. Historiker sagen, dass war sowohl für Luther persönlich als auch für die Entwicklung der Reformation ein wichtiger Einschnitt.

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4. Am Schluss: ein Gebet, ein Vers und ein Spruch:

 

Das Gebet:

Gott – unermesslich und doch nah,

der Himmel kann dich nicht halten,

aber in deinem Wort kommst du zu uns.

 

Hilf uns, unter den vielen Stimmen, die um uns herum sind,

die deine zu hören,

damit unser Leben dein wird,

damit wir uns von deiner Liebe getragen wissen

und wir von ihr zu besserem Tun gerufen werden.

 

Sei du unsere Hilfe in allen Höhen und Tiefen,

begleite uns in unseren Ängsten und Unsicherheiten

und mach unsere Hoffnung groß.

Amen.

 

Der Vers:

Ob ich sitze oder stehe; ob ich liege oder gehe: bist du Gott, bist du Gott, bei mir.
Ob ich schlafe oder wache; ob ich weine oder lache: Bleibst du Gott, bleibst du Gott, bei mir.
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir, und hältst deine Hand über mir.

(Liedheft 35)

 

Der Spruch:

So „wäre es dringlich, die erfahrene Verletzlichkeit nicht zu überspielen.“

Eva-Maria Faber

 

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