Post nach Hause am 29. Juli 2020

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitglieder der Versöhnungsgemeinde,

die letzte Juli-Hauspost wird wie schon im Gottesdienst angekündigt nochmals das Verhältnis von Judentum und Christentum thematisieren. Außerdem wollen wir unseren letzte Woche verstorbenen ehemaligen Pastor Carlos Steenbuck würdigen.

Für manche von uns endet diese Woche die strikte Quarantäne – aber: Bleibt bitte vorsichtig, schreibt unser Gemeindemitglied Andrés, selber Arzt: „Ich muss erzählen, dass ich mich mit dem Coronavirus angesteckt habe und mit Lungenentzündung im Krankenhaus liege. Gott sei Dank geht es schon besser, aber ich muss euch sagen, dass diese Krankheit wirklich nicht zu unterschätzen ist. Passt bitte alle in der Gemeinde auf euch auf und seid vorsichtig – gerade wenn jetzt die Bestimmungen etwas gelockert werden!“

Wir bleiben auch ohne uns zu sehen im Gebet vereint – für Andrés, für uns selbst, für die Welt. Wie immer endet die Hauspost mit einem Gebet, einem Vers und einem Spruch.

  1. Glaube: Was Christentum und Judentum miteinander verbindet
  2. Versöhnungsgemeinde: Abschied von Carlos Steenbuck
  3. Am Schluss: ein Gebet, ein Vers und ein Spruch

 

1. Glaube: Was Christentum und Judentum miteinander verbindet

Im Laufe der fast 2000jährigen gemeinsamen Geschichte gab es viele Zeiten, in denen Unterschiede, ja sogar Feindseligkeiten zwischen beiden Religionen betont wurden. Das begann mit der Trennung voneinander. Und man findet es bis heute – zum Beispiel in Versuchen, die Einzigartigkeit Jesu damit zu beweisen, dass er eben so anders als das Judentum seiner Zeit gewesen sei.

Am Wirkmächtigsten waren die politisch und religiös motivierte Unterdrückung, Verfolgung und immer wieder auch Bekämpfung des Judentums in den christlichen Gesellschaften Europas. Antisemitismus (gg. „die Juden“ als Volk) und Antijudaismus (gg. „das Judentum“ als Religion) führten über Jahrhunderte zu Diskriminierung und Leid, immer wieder auch zu Mord und Totschlag.

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Das Christentum hat dem Vorschub geleistet, weil in den Kirchen gegen Juden gehetzt wurde und weil man theologisch argumentierte „sie haben unseren Erlöser“ ans Kreuz geschlagen. Ob Päpste oder Bischöfe, Martin Luther oder einfache Dorfpfarrer – die Liste der verbalen christlichen Widerwärtigkeiten gegen das Judentum ist lang. Und die Mitschuld an der Vorbereitung von Schimpfworten und Schlägen, von Pogromen und Holocaust deswegen auch nicht zu leugnen.

Aber hier soll es wie die Überschrift sagt, um Gemeinsamkeiten gehen. Und deren gibt es wahrlich viele! Jesus und die ersten Christinnen und Christen waren ausnahmslos jüdischen Glaubens. Sie lasen die jüdische Bibel, sie feierten die jüdische Feste, sie befolgten jüdische Traditionen und Rituale, sie beteten in Synagogen und am Tempel in Jerusalem. Sie glaubten, lehrten und handelten „jüdisch“.

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RECHTS: “Kirche und Synagoge” – typische Darstellung aus zum Glück vergangener Zeit: die eine siegreich und gut, die andere niedergeschlagen und mit verbundenen Augen. LINKS: Kommt euch optisch bekannt vor? Ist aber keine Kirche, sondern eine Synagoge. Vorn allerdings nicht der Altar sondern die “bema” von der aus die Lesungen stattfinden.

 

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Vor 2000 Jahren gab es nach dem, was wir heute wissen, etliche ähnliche Gruppen wie die „Jesusbewegung“ und viele seiner Argumente und Überzeugungen, lassen sich klar mit der jüdischen Bibel oder mit anderen Rabbinern seiner Zeit in Verbindung bringen. Es besteht keine Notwendigkeit darin, diese abzuwerten, um Jesus aufzuwerten. Und vielfach stimmen solche Aussagen auch einfach nicht – Zum Beispiel ist das Alte Testament keine „Lehre der Vergeltung“ (Auge um Auge, Zahn um Zahn), sondern die von Jesus gelehrte Nächstenliebe findet sich genau so schon im Buch Leviticus (Kapitel 19, Vers 18).

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Die Kirche wurde mit Jüdinnen und Juden gegründet, denn sie waren es, die am Pfingstfest nach Jerusalem gereist waren, als Gottes Geist kam und die erste Gemeinde entstand. Paulus und die ersten Missionare predigten oft zuallererst in den Synagogen. Religionssoziologisch könnte man vielleicht von einer jüdischen Sekte sprechen, wie es sie damals viele gab und wie sie im Laufe der Zeit vielfach aufgetaucht sind und nicht selten mit den „jüdischen Autoritäten“ in Konflikt gerieten.

Wegen solcher Konflikte wurde Jesus von ihnen verfolgt und wurde die Jesusgruppe aus Synagogengemeinden ausgeschlossen. Gleichzeitig öffnete sich das entstehende Christentum immer mehr für „Heiden“ (also Nicht-Juden) und somit wurden jüdische Praktiken (zum Beispiel auch die zentralen Reinheits- und Speisegebote) zunehmend in Frage gestellt. Im Neuen Testament finden sich die Diskussionen darüber, ob man als ChristIn jüdische Traditionen anwenden müsse – eine Frage, die schließlich mit „Nein“ beantwortet wurde. Spätestens hier wurde der Bruch unausweichlich.

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Und doch verbinden uns der größte Teil unserer Bibel und damit auch viele Grundsätze unseres Glaubens miteinander. Der christliche Gottesdienst und das Gebet in der Synagoge entwickelten sich mit Lesungen, Gesang und Auslegung an- und miteinander. Wer heute Kirchen und Synagogen besucht, wird schon in den baulichen Gegebenheiten viele Ähnlichkeiten entdecken. Auch unsere Feste liegen nicht zufällig immer ganz nahe an den jüdischen. Wer tiefer in die Theologie eintaucht, wird viele Gemeinsamkeiten entdecken – nicht nur, dass es sich hier um zwei „monotheistische“ (auf einen einzigen Gott bezogene) „Buchreligionen“ (ein Buch als die zentrale Grundlage) handelt.

 

Gemeinsame Grundlage für Gottesdienst, Gesang und Glaube: die Psalmen. Hier im hebräischen Original (Tehilim) und mit Umschrift für Nicht-Hebräischlesende sowie mit spanischer Übersetzung.

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Heute sind im Juden- wie im Christentum viele Strömungen entstanden, so dass manche sagen, es wäre angemessener, jeweils im Plural von „Christentümern“ und „Judentümern“ zu sprechen, denn die Unterschiede unter den jeweiligen Gruppen seien zum Teil so groß, dass beide Religionen kaum noch als Einheit wahrgenommen werden können. So gibt es beispielsweise auch „messianische Juden“, also als JüdInnen geborene Menschen, die sich als ChristInnen bezeichnen, da sie Jesus als Messias anerkennen und das Neue Testament als Teil ihrer Bibel behandeln.

Die Frage nach der Bedeutung Jesu ist ohne Zweifel nach wie vor die größte Differenz zwischen beiden Religionen. Aber vielleicht kommt es in der heutigen Welt weniger darauf an, nach Unterschieden zu fragen, als mehr darauf, im gemeinsamen Handeln Gottes Reich zu bezeugen. ChristInnen und JüdInnen sind gemeinsam davon überzeugt, dass „das was ist“ nicht „alles“ ist. Mit den ProphetInnen Israels bezeugen wir Unrecht und bitten wir um Gottes Segen. Gemeinsam hoffen wir auf „eine Vollendung der Schöpfung“ und sind wir bereit, durch unser Tun, etwas zum Guten beizutragen.

 

2. Versöhnungsgemeinde: Abschied von Carlos Steenbuck

Wir, die aktuellen Pastores, haben Carlos nicht persönlich kennengelernt. Aber zusammen mit der gesamten Versöhnungsgemeinde sind wir sehr dankbar für seinen Dienst hier! Er gehört ohne Zweifel zu den Menschen, die einen großen Anteil daran haben, dass wir vor gut zwei Wochen den 45. Gemeindegeburtstag feiern konnten. Wir danken Gott für ihn und für Selma und für all ihr Wirken!

Drei Gemeindemitglieder haben sich die Zeit genommen, ein paar persönliche Erinnerungen aufzuschreiben:

 

Pfarrer Karl-Wilhelm Steenbuck kam Ende 1980 mit Selma und den Söhnen Michael und Raphael hier an und war sehr schnell nur noch als CARLOS bekannt.
Er war nach Axel Becker der zweite Pfarrer in unserer kleinen, neuen Versöhnungsgemeinde und hatte es nicht leicht, da ja Vieles noch in den Anfängen steckte und das allgemeine Klima der 80iger Jahre auch nicht gerade freundlich war.

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Eine große Hilfe war Selma, die sehr bald den Kontakt zu den Kindergärten aufnahm und die ganzen Jahre über die Belenes betreut hat.
Carlos und Selma wurden zu einem festen Bestandteil der Versöhnungsgemeinde, aber auch des Freundeskreises, mit dem wir viele Fahrten und Ausflüge im Land, bis in den hohen Norden, unternahmen.
Über all die Jahre bis vorigen Monat hat uns Carlos mit seinen Briefen begleitet, die uns nun sehr fehlen werden.
Am 25. Juni konnte Carlos noch an der Hochzeit von Raphael und Imke teilnehmen, nachdem diese von Ihrer langen Segelreise über den Atlantik rechtzeitig zurückgekehrt waren. Das war für alle eine große Freude.
Nun ist Carlos am 20. Juli nach langer, schwerer, sehr schmerzvoller Krankheit friedlich eingeschlafen und wir werden ihn sehr vermissen!
Siri von Reiswitz

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Es war damals eine sehr erfüllte Zeit mit der gesamten Familie Steenbuck. Sie waren in unserem Alter, hatten Kinder etwa im Alter unserer Schar, die sich sehr gut verstanden. Wir haben viele gemeinsame Zelttouren gemacht und es gab den gemeinsamen Chor mit der Erlöserkirche zusammen, die retiros, wo auch mal meine Mutter teilnahm, die sich ebenso gut mit Steenbucks verstand wie wir. So sind es bei uns drei Generationen, die die Pastorenfamilie sehr schätzten.
Gerne denke ich daran, dass ich mal vorschlug, den Konfirmandenunterricht bei uns im Haus zu machen, da die meisten Teilnehmer in Vitacura lebten und es schwierig war, dass alle in die Dublé Almeyda gebracht würden (wo die Versöhnungsgemeinde damals ja die Christuskirche mitnutzen konnte). Carlos war sofort einverstanden. Ich habe oft aus einem anderen Raum zugehört, es war auch für mich interessant, und die Jugendlichen kamen gerne. Er war ein offener, großzügiger, phantasievoller Leiter, der Themen aufgriff und Diskussionen förderte, die die Jugendlichen interessierten. Auch die Zweifel, die diese hatten, verstand er, weil er selber auch Zweifel hatte.
Für unseren Jüngsten waren die Religionsstunden in der Schule die Lieblingsstunden. Ein Mal erinnere ich, dass Christof erzählte, dass Carlos Bilder mitgebracht hat von Menschen in unterschiedlichen Situationen, und die Klasse fragte, mit wem sie sich identifizieren würden und warum. Es muss so neu und so aufschlussreich gewesen sein für unseren Sohn, dass er meinte, er hätte die Klassenkameraden ganz neu kennengelernt, sogar einen guten Freund, der oft bei uns war, auch in Tunquén.
Ulrike Drexel

 

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Karl Wilhelm Steenbuck, ein Mensch, ein Pastor, wie man ihm selten begegnet. Er nahm seinen Beruf als Berufung wahr. Diese Berufung erfuhr er als seine Großmutter starb, tief gläubig, in großer Ruhe und Gelassenheit, erwartete sie den Tod. Durch diese Haltung beeindruckt, kam er zu dem Entschluss, der christlichen Verkündigung zu dienen. Wir haben ihn nicht nur in dieser Aufgabe erlebt während seiner sechs Jahre in Chile, sondern auch durch eine Freundschaft, die bis jetzt erhalten blieb. Die Kontakte wurden besonders durch seine monatlichen Schriften erhalten, die uns bis zuletzt erreichten. Man war vielleicht nicht mit allen seinen Ausführungen einverstanden und konnte da auch mal kontern, was ja normalerweise bei einer Predigt nicht möglich ist. Er war tolerant, akzeptierte andere Glaubensrichtungen, verdammte sie nicht. Und doch war er ein überzeugter Christ, kein leichter Weg. Zweifel kamen ihm doch schon mal, wie er uns einmal äußerte.

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Viele Erlebnisse außerhalb der Kirche konnten wir mit ihm teilten, bei Gesprächsrunden, im Kirchenchor und auf gemeinsamen Zeltfahrten in die Natur. Berge waren ihm nicht vertraut. Als Norddeutscher, kam er aus flachem Lande. Er liebte seine Heimat, war kein Städter, wuchs in bäuerlicher Gegend auf. Rote Grütze war eine seiner Lieblingsspeisen. Plattdeutsch konnte er auch noch snaken.
Ein festliches Ereignis bleibt uns ganz besonders in Erinnerung. Das war die Taufe unserer Tochter, im Süden auf dem Land. Es war ein wunderbarer Sommertag. Freunde waren gekommen und viele Kinder belebten den Tag. Ein jeder durfte dem Täufling einen besonderen Wunsch mit auf den Weg geben.
Wir bedauern sein Scheiden. Ein schmerzlicher Verlust auch für uns in der Ferne.
Fritz Meinardus

 

3. Am Schluss: ein Gebet, ein Vers und ein Spruch:

Das Gebet:

Gott, wir danken dir für Momente, in denen wir aufatmen und Kraft tanken können.

Für ein Lied auf den Lippen und erholsame „Ferientage“.

Für eine erste Lockerung der Quarantäne und die Aussicht auf einen schönen Spaziergang.

Für liebe Menschen, die mich begleiten.

Für …

 

Gott, trotz allem denken wir an Menschen, denen es gerade gar nicht gut geht:

weil sie trauern und schmerzlich vermissen,

weil sie in Sorge sind um liebe Menschen,

weil ihnen alles einfach zu viel ist.

 

Gott, ich bringe vor dich …

 

Gott: wir bringen alles vor dich.

Sorgen und Dank.

Bitten und Hoffnungen.

Nimm du dich unser an.

Leite uns und stärke uns.

Amen.

 

Der Vers:

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes.

(Römer 8,38f.)

 

Der Spruch:

Es kommt niemand zum Vater – anders aber wenn einer nicht mehr zum Vater zu kommen braucht, weil er schon bei ihm ist.

(Franz Rosenzweig als Reaktion auf die Aufforderung vom Judentum zum Christentum zu konvertieren, getreu dem Jesuswort „Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“)

 

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